Schisma und Häresie im Grünen Akkumulationsregime


Unter Linken der unterschiedlichsten Strömungen existiert bis heute keinen Zweifel über die Endlichkeit des Kapitalismus. Diese Endlichkeit resultiere aus den inhärenten Widersprüchen dieses Systems. Äußern tut sich diese Gewissheit oder Hoffnung im Katastrophismus der Klimabewegung, der nach Luxemburg „Sozialismus oder Barbarei“ postuliert. Der Untergang ist nah und die Barbarei realistischer als der Sozialismus. Die etwas optimistischere Sichtweise sah im Corona-Keynsianismus das Potential für den Sozialismus und die revolutionärste Sichtweise sieht in den gekommenen Aufständen ihr neues revolutionäres Subjekt, dass bereits eine revolutionäre Phase eingeleitet hat. Historisch gesehen traten Revolutionen selten auf und noch seltener als RevolutionärInnen sie ausgerufen haben. Wir möchten gegen diesen verzweifelten Optimismus eine andere Sichtweise vorschlagen.

Der Begriff des Akkumulationsregimes versucht Phasen der Stabilität inmitten der immanent krisenhaften Produktionsweise des Kapitalismus zu erklären und hilft dabei die Integrations- und Erneuerungskraft des Kapitalismus, dabei aber auch seine krisenhaften Umbruchphasen in den Blick zu bekommen. Wir wissen, dass sich ein Akkumulationsregime erst ex post genau definieren lässt, also erst in seiner Endphase, in der das jeweilige Produktionsprinzip in allen Bereichen der Gesellschaft verankert ist. Insofern ist unser Versuch das Grüne Akkumulationsregime zu umreißen unzulänglich. Und dennoch meinen wir, dass es notwendig ist, um zumindest theoretisch und zukünftig auch praktisch auf die Höhe der Zeit kapitalistischer Entwicklung aufzuschließen. Wir glauben, dass die Trennungen und Scheidungen, von denen wir heute sprechen, etwas zu tun haben, mit einem Übergang in etwas Neues, vergleichbar mit dem Übergang von einem fordistischen, zu einem neoliberalen Akkumulationsregime. War die neoliberale Restrukturierung eine Antwort auf die tiefgreifenden Krisen des Fordismus, so sehen wir heute den Versuch einer Antwort auf die Krisen, die den Preis der zwischenzeitlichen neoliberalen Profitabilität ausmachen. So wie auch der Neoliberalismus weit mehr war als ein ökonomisches Programm, so glauben wir heute die Grundzüge einer Neuordnung unseres ganzen Lebens zu erkennen. Wenn wir von einem neuen grünen Akkumulationsregime sprechen, dann um einen Begriff einzuführen, der es uns erlaubt, die vielfältigen Verbindungen zwischen diesen Neuordnungen zu untersuchen, die wir entdecken in den Feldern der grünen Ökonomie, der neuen Formen von Ausnahmezuständen und Sicherheitspolitiken, der Subjektivierungen, der Bio- und Nekropolitik, der Digitalisierung bzw. Algorithmisierung und des extraktivistischen Zugriffs auf die wenigen Bereiche des Lebens, die noch nicht kapitalisiert sind. Vor allem die Tiefenschürfung dieser Kolonialisierung der Seele und des Leibs entwickeln dabei eine neue Qualität. Während dem fordistischen Kapitalismus noch eine gewisse Äußerlichkeit zu eigen war, wurde durch den Neoliberalismus diese Äußerlichkeit immer weiter abgeschafft und findet in der genannten neuen Qualität eine weitere Stufe der Verinnerlichung. Durch Biotechnologien oder technische Prothesen bzw. Körperverlängerungen (z.b. Smartphone) wird diese Kolonialisierung automatisiert, in Leib/Seele hineinverlagert und zu einem immanenten Bestandteil des Selbst.

Das neoliberale Modell reagierte auf die Profitabilitätsgrenze der fordistischen Produktion mit dem Versuch die Grenzen des Kapitalismus auszudehnen, durch eine Deregulierung des Finanzsektors, der Geldpolitik und des Arbeitsmarkts, durch die Deterritorialisierung der Produktion mittels einer neuen globalen Arbeitsteilung, basierend auf einer weltumspannenden Logistik. Heute treten seinerseits die Grenzen dieses neoliberalen Modells überall zu Tage. Die Spekulationsblasen des Immobilien- und Finanzsektors sind so aufgepustet worden, dass sie zu groß zum Wachsen und zu groß zum Platzen sind. Die neoliberale Arbeitsmarktpolitik produziert sowohl einen Fachkräftemangel wie ein Surplus-Proletariat. Nicht zuletzt die ökologischen Grenzen des Kapitalismus machen sich so heftig bemerkbar, dass sie die globalen Lieferketten und die Just-in-Time-Produktion zusammenbrechen lassen. Diese Erfahrung produziert das Begehren, diesmal die Grenzen des Kapitalismus nicht nur auszudehnen, sondern aufzuheben. Sich unabhängig zu machen von allem Materiellen, von Energieträgern, Rohstoffen, Körpern, dem eigenen, aber vor allem von den Körpern der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Am radikalsten artikuliert sich dieses Begehren in den Projekten des Transhumanismus, es findet sich aber auch in der grünen Ideologie und der eng damit verknüpften Digitalisierung.

So erleben wir die Inszenierung eines Schismas zwischen fossilem und grünen Kapitalismus. Auf der einen Seite symbolisieren die dreckigen Kohlegruben und schmutzigen Ölfelder eine Welt, deren Ressourcen erschöpft und deren ökologischen Grenzen erreicht sind. Auf der anderen Seite steht eine grüne Welt der kommenden Zukunft, in der alles als nachhaltig, erneuerbar, sauber, digital und virtuell erscheint. Aber spätestens aus dem Innern einer Lithiumgrube entlarvt sich diese Inszenierung einer absoluten Trennung als eine absurde Farce. Immer exorbitanter wächst der Bedarf nach grünen Strom, seltenen Metallen, nach Biomasse und Wasser, nach immer größeren Flächen für Windräder und Solarzellen.

Der grüne Zugriff darauf ist der Zugriff auf Territorien, in denen die begehrten Metalle und Rohstoffe liegen, durch die Pipelines und Infrastrukturprojekte laufen, wo Solarplantagen und Windparks entstehen sollen. Die Communities, die diese Territorien bewohnen, erleben die gleichen Formen eines kolonialistischen Extraktivismus, die sich im fossilen wie auch im grünen Akkumulationsregime zeigen. Dieser basiert vor allem auf zwei Arten der Trennung.

Erstens einer Form der Spaltung der Communities, die sich patriarchaler und hierarchischer Machtstrukturen bedient und von dem fragwürdigen Versprechen lebt, an der Ausbeutung beteiligt werden zu können, die das eigene Territorium zerstört. Wie etwa zu beobachten bei den Mitte-Links Regierungen in Lateinamerika. Zweitens einer Form der Trennung der Communities von Wasser, Holz oder den Anbauflächen, die sie für ihre Reproduktion nutzen konnten, anders gesagt, eine Trennung von Territorien und Körpern. Diese Trennung fußt auf der modernen Entstehung des männlichen, besitzenden, bürgerlichen Subjekts. Die Trennung des menschlichen Körpers von der Welt ermöglichte es die individuellen Besitzansprüche auf die Natur zu formulieren, die am Anfang der frühkapitalistischen Einhegungen von Wäldern, Flüssen und Gemeinbesitz standen. In diesem Zusammenhang kann auch der sogenannte Naturschutz gesehen werden, der um sich greift. Naturschutz ist die vergesellschaftete Form des männlichen Besitzanspruchs auf die Natur, der in der Sorge um die Umwelt eine Verweiblichung erfährt und somit scheinbar progressiv daher kommt. Doch letztendlich wird die bürgerliche Trennung von Natur und Mensch in Besitz und Profitkategorien gedacht.

Ebenso wenig überraschend ist es, dass nicht nur die Methoden des fossilen wie grünen extraktivistischen Angriffs auf die Körper-Territorien sich gleichen, sondern auch die dahinter stehenden Akteure des Kapitals. Es reicht sich zwei Listen nebeneinanderzulegen, welche Konzerne, Fonds und Banken am meisten Geld jeweils in fossile oder grüne Unternehmungen investieren, um anhand der zahlreichen Übereinstimmungen festzustellen, dass es kein wirkliches Schisma zwischen grünem und fossilen Kapital gibt.

Sprachen wir oben davon, dass die Inszenierung einer absoluten Trennung eine absurde Farce sei, möchten wir hier einschieben, dass diese Inszenierung ein ideologischer Trick der Herrschenden ist, um die wahre Trennung zu verdecken. Natürlich besteht das Schisma nicht zwischen fossilem und grünen Kapitalismus in dem Sinne, das auf der einen Seite nur natürliche Kohlestoffvorkommen, auf der anderen Seite regenerierbare Ressourcen, ausgebeutet werden, sondern darin, dass sich das alte neoliberale Akkumulationsmodell erschöpft und der Kapitalismus einer grundlegenden Sarnierung bedarf. Dies ist das Schisma das auch im Bewusstsein vieler Kapitalfraktionen vorhanden ist, sei es Silicon Valley, Exxon Mobile oder die deutsche Autoindustrie. Die Inszenierung des Schismas zwischen fossil und grün, dient nur der Produktion von Zustimmung für den Umbau und die Intensivierung der Herrschaft.

Gleichzeitig produziert die globale Jagd nach Rohstoffen, Halbleitern und günstigen Energiequellen eine Scheidung auf einer anderen, zwischenstaatlichen Ebene. In der neoliberalen Phase waren Verlagerungen von Produktionskapazitäten und Kapitalströmen bewusste Strategien zur Profitmaximierung in den USA und der EU. Die entstandenen globalen Wertschöpfungsketten und internationalen Verflechtungen wurden nicht als Nachteil gesehen, weil an eine Marktregulierung und finanzpolitische Hegemonie des Westens geglaubt wurde. Mit der zunehmenden Fragilität der globalen Lieferketten und des Finanzsystems einerseits, sowie dem Aufstieg u.a. Chinas andererseits, hat sich dies verändert. Während vor einigen Jahren viele nur noch transnationale Konzerne oder eine globale Gouvernementalität eines Empires sahen, hat heute jeder imperialistische Block und jedes Land, das etwas auf sich hält, eine nationale Rohstoffstrategie und einen Plan für die eigene „strategische Autonomie“. Vor allem durch den Fokus auf seltene Erden und regenerative Energien, die sich anders und vielfältiger auf dem Globus verteilen, wird diese Suche global stattfinden und potentiell jeder Ort auf dem Planeten zu einem möglichen Schauplatz eines Rohstoffkrieges (im sozialen, ökologischen wie militärischen Sinne) machen.

Internationale Verflechtungen und multipolare Orientierungen werden aktuell als eine nachteilige Abhängigkeit gesehen, die von einer strategischen Autonomie flankiert werden muss. Ökonomisch ist die Krise des Empires in der Krise des (post) fordistischen fossilen Kapitalismus begründet, der angesichts von massiv zurückgehenden Profitraten, einem aufgeblasenen Finanzsystem, Klimakatastrophe, Pandemie etc. ein neues Akkumulationsregime entwickeln muss; sich neu erfinden muss. Die Politik der Sanktionen, Strafzölle und Wirtschaftskriege schafft eine Eskalation, die ihrerseits einen neuen moralischen Druck der Entflechtung hervorruft, wie wir ihn als Folge des russisch-ukrainischen Kriegs beobachten können. Es fällt nicht schwer, von diesen Scheidungen aus die Zukunft eines imperialistischen Schismas zwischen den USA und China zu erkennen. Doch erinnern wir uns an die Kirchengeschichte: Auch die Spaltung in römisch-katholische und evangelische Kirche brachte eine neue Ökumene hervor. Insofern befinden wir uns gerade auch auf der geopolitischen Ebene in einer Phase der Neu (konfiguration) des internationalen Geflechts, deren Ausgang bisher noch ungewiss ist.

Wir haben uns hier vor allem auf die ökonomischen Prozesse fokussiert und versucht an Beispielen unsere Denkweise darzulegen wie man mit dem Konzept des Grünen Akkumulationsregimes unterschiedliche Phänomene zusammendenken kann, um eine Begrifflichkeit des Ganzen zu entwickeln. Dabei müsste der ganze Bereich der Biopolitik, Biotechnologie, des Ausnahmezustands, der digitalen Kommunikation, der Algorithmen, des Katastrophismus als herrschende Ideologie, Technizismus, Solutionismus und instrumentelle Vernunft in die Analyse der politischen Regulierungsform des Grünen Akkumulationsregimes mit einbezogen werden.

Stellen wir uns also die aktuellen und zukünftigen Dynamiken etwas schematisch vor und blenden die Ungleichzeitigkeiten (Ernst Bloch) etwas aus, könnten wir aktuell vielleicht von einer ersten Phase reden, die vom Konflikt zwischen fossilem Kapitalismus und Grünem Kapitalismus geprägt ist (dieser ist nicht unbedingt ein Konflikt zwischen einzelnen Kapitalisten oder Kapitalfraktionen, sondern verläuft quer zu diesen und markiert eher zwei Logiken) und im Laufe dessen sich eine Logik als Leitprogramatik durchsetzen wird. Man könnte vielleicht sagen, dass die „grüne Fraktion“ versucht, mit Gewalt die Transformation anzuschieben bzw. zu beschleunigen. Die zweite Phase, wenn wir davon ausgehen, dass sich die Grüne Fraktion durchsetzt, könnte man „Grüne Kriegswirtschaft“ nennen. Kriegswirtschaft nach Innen im Sinne eines sich normalisierenden Ausnahmezustands, in dem durch Technokratie, Notwendigkeitsargumente und Moral die notwendigen Maßnahmen und Investitionen in Gang gebracht werden. Dieser Grüne Kapitalismus könnte angesichts der Klimakatastrophe unter dem Vorwand einer nachhaltigen Klimapolitik ein Feld neuer Akkumulation freisetzen. Nach Außen könnte er sich durch Protektionismus und aggressive Außenpolitik im Kampf um Technologien und Ressourcenzugriff auszeichnen. Darin wird es vor allem darauf ankommen, ob die nationalen Interessen es schaffen eine neue internationale (Un)ordnung als Sicherheits- und Ordnungsgarant des neuen Akkumulationsregime, zu etablieren und damit zu seine globalen Durchsetzung abzusichern.

Dies, könnte den Kapitalismus ins nächste Jahrhundert hinein in seiner Krisenhaftigkeit stabilisieren. Nicht nur weil er „einfach“ neue Wirtschaftszweige erschließt, sondern weil dieses neue Akkumulationsregime ein neues gesellschaftliche Projekt bedeuten wird, das nicht nur neue Wirtschaftsformen umfasst, sondern auch neue Rechts- Politik- Kultur- und Subjektformen. Eine industrielle Fließband-Gesellschaft erfordert eine andere Lebens- und Seinsart als der postfordistische/neoliberale Finanzmarktkapitalismus.

Diese Umstrukturierung geht ökonomisch von drei wesentlichen Systemen aus. Den Leitsektoren, den Leittechnologien und den Energiesystemen, die eingebettet sind in politische Regulierungsformen mit ihren Auswirkungen auf Organisation und Kontrolle von Arbeitsverhältnissen.

Es ist nicht so schwer vorstellbar wie aus dem grünen Akkumulationsregime neue Binnenökonomien, aus denen neue Lebensformen, Konsumverhalten und Subjetivierungsweisen entstehen: Auf der einen Seite Smart-Green-Cities für die Home-Office-Brigaden, auf der anderen Seite Wüstenstädte rund um Solarparks für die ArbeiterInnen und ihre Familien. Neue globale Infrastrukturen für die Weiterleitung der Energien in den Norden könnten die globale Besiedlung massiv umwälzen. Auf der anderen Seite sprechen die Binnen-Flüchtlingsbewegungen von heute bereits Bände über die Demographieverschiebungen.

Auch ist bereits Realität wie neue Leittechnologien entwickelt werden und das Arbeitsregime verändern, sich auf andere Branchen ausbreiten und für die Entwicklung weiterer Innovationen sorgen: Beispielsweise das Militär oder ChatGPT: IT-Branchen in denen keine Programmierer mehr arbeiten, sondern Promter: Diese stellen nur noch die richtigen Fragen an den Bot, der dann programmiert. Das ist seit einem Jahr Realität und es ist keine Eitelkeit oder Marketing, wenn einige der mächtigsten und einflussreichsten Menschen eine globale Petition zum Entwicklungsstopp von KI-Programmen aufrufen. Auch auf der Subjektivierungsebene lassen sich schnell Phänomene finden: 2019 haben die Menschen gesagt: Sollen wir Zoomen? Ein digitales Treffen machen? 2023 sagen die Menschen: Sollen wir uns physisch treffen?

Mit der aktuellen Krise des Akkumulationsregimes, geraten auch die Reproduktionsbedingungen traditioneller hegemonialer Männlichkeit in die Krise, was zu neuen Formen von Männlichkeit (Habeck), bis hin zur Ablehnung von Geschlecht als sozialem Verhältnis (Queer), aber auch gewaltvollen rechten Parodien von Männlichkeit (Trump) führt. Die Auseinandersetzungen um Feminizide in Lateinamerika verweisen explizit auf den Punkt, dass die massenhaften Morde an Frauen als ein entfesseltes Krisenphänomen des fordistischen und neoliberalen Patriarchats gesehen werden können.

Der fossile Kapitalismus existiert weiterhin und seine Fraktion wird als Zweite-Klasse-KapitalistInnen, die bisher die notwendige Umstrukturierung gewährleistet haben, nun sein Geld mit geringeren Profitmargen im Globalen Süden verdienen. Insgesamt wird aber auch dieses Regime die ungleiche Dynamik zwischen dem globalen Norden und dem Süden zementieren und verschärfen. Das grüne, digitalisierte Akkumulationsregime im Norden braucht den grünen Extraktivismus im Süden.

Zugegebenermassen haben wir behauptet, dass sich ein neues Akkumulationsregime erst ex-post definieren lässt und viele der hier umrissenen Entwicklungen noch offen sind. Nichtsdestotrotz glauben wir hilft es manchmal von der analytischen Ebene in die Fantasterei zu springen, um eine Vorstellung von der Dimension planetarischer Veränderungungsdynamiken zu kriegen.

Verbleiben wir in dem für uns nützlichen Bild, den Kapitalismus als Religion zu betrachten, um uns den ideologischen Implikationen dieses Grünen Projekts zu widmen. Unausweichlich fallen uns dabei erneut die Begriffe Schisma und Häresie ein und die Frage nach ihrer Bedeutung. Das Schisma, ob inszeniert oder real ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage um die Autorität der kirchlichen Hierarchie. Das Schisma ist die Scheidung um der Macht willen. Die Häresie ist die Scheidung um des Glaubens willen, entweder als eine autonome Scheidung von der kirchlichen Autorität oder als ein fremdbestimmter Ausschluss durch diese Autorität. Die Markierung der Anderen als Häretiker, dient nicht nur der Abschreckung, sie hilft auch den eigenen Glauben zu definieren, mithin also eine Legitimationsgrundlage zu schaffen, die außerhalb des machtpolitischen Inhalts des Schisma liegt. Doch gerade weil das Schisma den Glauben nur für seine Machtpolitik instrumentalisiert, kann aus den Widersprüchen der Inszenierung eine häretische Transzendenz entstehen, die sich dem Schisma entzieht. Nur in dieser indirekten Form, wäre also der Satz von Bordiga wahr, dass “die Revolution aus dem Schisma erwächst”. Und doch sind historisch nur aus den wenigsten Häresien Revolutionen entstanden.

Der Übergang in das grüne Akkumulationsregime beinhaltet einen Angriff auf die Reproduktionsbedingungen der Bevölkerungen sowohl in der Metropole als auch in der Peripherie. Die Legitimation dieser Politik basiert auf der Produktion von Schismen, die vor dem apokalyptischen Bild einer untergehenden Welt eine Trennung zwischen Gut und Böse herbei beschwören. Nicht der Inhalt des Glaubens ist hier entscheidend, sondern die Legitimation der eigenen Autorität durch die Markierung der Häresien. So gleichen sich die Heerlager der Gläubigen des grünen Akkumulationsregimes, ob sie nun in den Krieg um die grüne Weltrettung, die Ukraine oder die Impfkampagne ziehen. Die Unterordnung unter die Autorität, die Bereitschaft Opfer zu bringen, wird durch den Hass auf die Häresie geschürt. Sie schafft grün-liberale Subjekte, die ihren Teil beitragen durch die ganz persönliche Jagd auf die Häretiker*innen. Dieser Mechanismus lässt sich durchaus auch in der früheren Verfolgung von Häretikern und Hexen wiederfinden, deren größte Bedrohung oftmals nicht der Inquisitor, sondern der Denunziant war. Wer gießt im heißen Sommer seinen Rasen? Wer fliegt in den Urlaub? Wer ist nicht geimpft und getestet? Wer feiert Gartenpartys im Lockdown? Wer liest Dostojewski oder trinkt noch russischen Wodka?

Die Verfolgung der Häretiker*innen mag in uns den Abscheu auf die Inquisition und ihre Helfer erhöhen, unser Mitgefühl mit den Verfolgten wecken und uns vielleicht sogar in sonderbare Konstellationen des Widerstands treiben. Eine andere Frage ist die, nach dem politischen Potential der Häresie. Indem die Häretiker*innen das Schisma nicht als machtpolitischen Konflikt erkennen, sondern sich auf der Ebene seiner Glaubenskämpfe bewegen, sind sie nicht in der Lage sich ihm zu entziehen. Die Obszönität der Macht, die Widersprüchlichkeit innerhalb ihrer Schismen, produzieren Häresien, die der Kirche doch nie gefährlich werden, weil sie nur ihre eigene Kirche sein wollen. So erschaffen die Häresien ein historisches Bild einer verklärten Vergangenheit, zu der sie schon deshalb nicht zurückkönnen, weil sie nie existiert hat. Im Anblick der moralischen Verkommenheit der existierenden Priester, rufen sie ihre eigenen Gegen-Priester aus. Die Häresien im grünen Akkumulationsregime sind bevölkert mit diesen Gegen-Priestern, von prorussischen Militärexperten über esoterische Landwirte bis zu Ärzten, die ihren Jüngern erklären, wie genau die Impfspritze den Tod bringt. Auf diese Weise verbleiben diese Häresien in den geopolitischen und biopolitischen Paradigmen, aus denen sie erwachsen sind. „Man holt die Macht nicht auf den Erdboden zurück, um sich selbst in den Himmel zu heben.“

Und doch liegt in der Häresie ein Potential zur Transzendenz, das dem Schisma abgeht. Gibt es inmitten von Scheitern und Regression nicht auch die häretischen Geschichten, von denen, die desertierten, ohne nur eine Oase aufzubauen? Die umherzogen, um Unruhe zu stiften, anstatt Jünger zu finden? Die über den Glauben sprachen, um die herrschenden Dogmen anzugreifen, ohne eigene auszurufen? Die nicht auf dem Terrain der Macht kämpften, sondern neue Konflikte führten, neue Lebensformen und Beziehungen ausprobierten, ohne sie zum allgemeinen Maßstab zu erklären?

Die Treue zu dieser Erinnerung ist die Suche nach einer Häresie der Destitution.