Feministisches Manifest zur Sorge


11 Thesen

Der Feminismus liegt am Boden. Obwohl ihm viele zujubeln. Aber die weibliche Position hat in der patriarchalen Welt keinen Ort. Sie ist mehr denn je – ein Nichts.

Das wollen wir nicht akzeptieren! Jenseits von den Debatten darum, ob wir mehr Klassenpolitik oder mehr Identität oder mehr Bündnisse brauchen, wollen wir danach fragen, was uns heute unterdrückt und wovon wir uns befreien müssen.

Deshalb dieser Text. Wir wollen uns den Begriff der Sorge wieder aneignen: Aber wir wollen nicht einfach mehr Anerkennung unserer Sorgearbeit fordern. Wir fordern nichts. Wir wollen eine andere Welt, eine andere Weise als Subjekte zu leben.

Sorge ist in vieler Munde. Sie droht eine feministische Floskel zu werden oder ein einfacher Ausweg aus der patriarchalen Welt: sich umeinander kümmern, das klingt netter, wärmer.

Aber uns geht es um etwas anderes: Frei zu sein, ohne die Angewiesenheit aufeinander leugnen zu müssen, füreinander sorgen, ohne das Sein aufs Sorgen zu reduzieren, autonom zu sein, ohne männliche Herrschaft zu reproduzieren.

Deshalb dieses Manifest: Ausdruck einer Suche nach einem Feminismus jenseits von Gleichstellung und Anerkennung der Diversität.

1. These

Solange die Angewiesenheit abgespalten wird, wird es das Weibliche geben sowie das eine Geschlecht, den Mann als herrschendes Subjekt.

Wir sehen das Grundproblem unserer Unterdrückung in einer eingeschlechtlichen kulturellen und symbolischen Ordnung und somit nicht in einer Zweigeschlechtlichkeit oder Binarität. Dieses eine Geschlecht ist das männliche.

2. These – „Sie nennen es Liebe, wir nennen es Arbeit.“

Viel mehr als Arbeit ist Sorge Teil menschlichen Seins. Sorge ist das Sich-Annehmen der Angewiesenheit als menschlicher Grundexistenz. Gleichzeitig gehen Beziehungen, Freundschaft, Sexualität etc. nicht vollkommen darin auf. Sorge ist nur ein Teil von alldem, das heißt ein Teil unserer Verwiesenheit.

3. These

Als Teil menschlichen Seins ist Sorge besonders. Sie ist individuell, intim und nicht-identisch.

Somit ist sie nicht austauschbar und entzieht sich dem Prinzip des Äquivalententauschs.

4. These

Sorge ist menschliches Sein und damit auch schäbig, dreckig und unrein.

Sorge ist immer grenzüberschreitend.

5. These

Sorge ist menschliches Sein und lässt sich somit nicht vollends kommodifizieren. Beziehungsweise: Sobald sie dies ist, sind wir keine Menschen mehr, sondern nichts als Automaten.

6. These

Es gibt keine technischen Lösungen für die Probleme, die uns die Sorge stellt. Vielmehr führen sie zur eben erwähnten Entmenschlichung. Deshalb ist jedem Fortschritts- und Technologieglauben entgegenzuwirken.

7. These

Man kann Sorge nicht gleich auf alle Menschen verteilen, eben weil sie besonders ist. Deshalb kann man sie auch nicht bestreiken.

8. These

Wir lassen uns vom androzentrischen Weltbild das männliche Prinzip nicht aufzwingen, indem wir glauben, Sorge ließe sich bestreiken. Das hieße ihre Gleichsetzung mit Lohnarbeit anzuerkennen.

9. These

Wir respektieren Anerkennungspolitik (auch was queere Identitäten angeht), aber distanzieren uns von ihr als systemimmanent. Anerkennungspolitik führt zu Integration, nicht zu Revolution.

10. These

Ziel ist nicht die Anerkennung der Reproduktionssphäre als der Produktionssphäre gleichwertig, sondern die Aufhebung der Trennung der beiden Sphären. Ziel ist somit die Aufhebung der Abspaltung der Angewiesenheit als menschlicher Grundexistenz und ihrer Verdammung ins Weibliche.

11. These

Ziel ist somit auch nicht die Anerkennung von Frauen als Männern gleichwertig. Sondern die Aufhebung der Unterdrückung von Weiblichkeit (in uns allen und der gesamten Welt!) durch das Geschlecht Mann. Diese Aufhebung erfolgt nicht in Geschlechterdiversifizierung, die Identitäten schafft, während das eine Geschlecht, der Mann als herrschendes Subjekt bestehen bleibt. Sie kann nur erfolgen in einer weiblichen Subjektwerdung als der Subjektwerdung, die Sorge trägt, ohne unterdrückt zu sein.

Weibliche Subjektwerdung ist ein Prozess der Befreiung aller.

Freiheit meint dann sich in ein freies Verhältnis zur Angewiesenheit der anderen setzen zu können. Sich dieser also auch nicht anzunehmen, ohne moralische Verurteilung und zugleich Sorge nicht als Arbeit verkaufen zu müssen.

Die vier Maria Bonitas